Chiang Rai

(So 10.12. – Mi 13.12.2023)

Am Sonntagvormittag sagen wir bye-bye zu Chiang Mai und fahren mit dem Bus noch weiter in den Norden, nach Chiang Rai. Als wir nach gut drei Stunden am Busbahnhof aussteigen, merken wir schon, dass die Uhren hier noch etwas langsamer ticken und die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Alles wirkt so ein bisschen wie in den Achtzigern. Lien hat für uns ein familiäres Hotel gefunden, ganz nah im Zentrum und nicht weit von Nachtmarkt entfernt, den es auch hier gibt und der sich bei Einheimischen und Touris gleich großer Beliebtheit erfreut. 

Marko und ich machen am ersten Abend eine kleine Nachtwanderung durch die Stadt, hinauf zum Wat Phra That Doi Chom Thong, dem ältesten Tempel der Stadt, der aber leider schon geschlossen ist. Von hier oben sehen wir aber einen schönen Sonnenuntergang und laufen durch ein Wohngebiet, in dem wir beiden europäischen Nachtspazierer freundlich, aber neugierig beguckt werden. Die Leute leben hier recht beengt und die Häuser sehen teilweise ziemlich improvisiert aus. Reich sind sie hier definitiv nicht, doch die Stimmung ist trotzdem gut und das Leben findet eh draußen statt.

Wir kommen auch an einem Lebensmittelmarkt vorbei, wo von Obst und Gemüse über Fisch und Fleisch bis hin zu Snacks und Süßigkeiten alles angeboten wird, und zwar frisch und zu sehr moderaten Preisen. Für eine frisch aufgeschnittene Ananas bezahlen wir gerade mal 20 Baht (etwa 50 Cent). 

Bei unserem Hotel um die Ecke steht eine christliche Kirche, die so überbordend weihnachtlich geschmückt ist, als stünde das jüngste Gericht unmittelbar bevor und man wollte es nochmal richtig krachen lassen. Was im Dunkeln wie ein riesiger Weihnachtsbaum aussieht, ist eigentlich eine Palme, die mithilfe bunter Lichterketten zumindest im Dunkeln eine Kegelform bekommt. Auch eine quietschbunte Krippe mit Maria, Joseph und Jesuskind, Ochs und Esel sowie den heiligen drei Königen hat man aufgebaut. 

Am Montag mieten wir uns zwei Scooter und fahren damit zum White Tempel (Wat Rong Kun), der garantiert in jedem herkömmlichen Reiseführer besprochen wird (allerdings nicht im Lonely Planet, der sich ja eher an eine Klientel wendet, die dem Massentourismus entfliehen will). Es handelt sich dabei nicht um eine Gebetsstätte im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um ein Kunstprojekt des bekannten thailändischen Künstlers Chalermai Kositpipat, der dort seine inneren Bilder zwischen Paradies und Apokalypse mit viel Weiß und Glitzer materialisiert hat. Die Anlage strotzt vor Symbolen und Ornamenten. Dabei hat er auch Elemente aus der modernen globalen Popkultur integriert, was den Zugang für viele Besucher sicherlich erleichtert. Der Detailreichtum ist so groß, dass man als Betrachter absolut „overwhelmed“ ist. Auch die Anzahl und das Verhalten der Mittouristen sind eine Herausforderung. Besonders anstrengend sind die großen Besuchergruppen aus China, die alles plattwalzen, was sich ihnen in den Weg stellt. Uniformierte Wächter passen auf wie die Schießhunde, dass alles seinen gesitteten Gang geht. Wer Schultern oder Oberschenkel entblößt, wird mit Trillerpfeife zur Ordnung gerufen. Interessant, aber stressig. 

Ein paar Ecken vom Wat entfernt ist es wieder ganz ruhig. Wir gehen in einem kleinen Landrestaurant sehr lecker essen und fahren dann weiter zur Tempelanlage Wat Huai Pla Kang, die nördlich der Stadt auf einem Hügel liegt. Auch hier sind vier Leute unterwegs, aber die Stimmung ist anders. Es gibt auch einheimische Besucher und Gruppen, die vielleicht sogar aus spirituellen Gründen hier sind.

Innerhalb der riesigen Statue der Göttin Guan Yin kann man im Fahrstuhl bis in ihren Kopf fahren, von wo aus man einen phantastischen Blick über die Gegend hat. Viele Besucher finden es ganz besonders wichtig, sich vor ihrem dritten Auge („Longmen“) fotografieren zu lassen. Wir erleben von hier oben den Sonnenuntergang und die anschließende Beleuchtung der Anlage, bei der mit Kilowattstunden nicht gespart wird. 

Dann scootern wir zurück in die Stadt und machen uns fertig für den nächsten Tag. Der Plan ist, morgen in aller Frühe mit dem Auto zum Phu Chi Pha aufzubrechen. Bei diesem Berg, der an der Grenze zu Laos liegt, kann man, so berichten es andere Reisende, dramatische Sonnenaufgänge erleben. Mit ein bisschen Glück sieht man von der Abbruchkante aus den „Sea of mist“, unter dem das tiefer gelegene Bergland bis auf einige Spitzen fast verschwindet. 

Wir fahren um drei Uhr morgens los, das heißt, Marko fährt, während A&L schlafen und ich mich als Beifahrer auch nicht gerade mit Ruhm bekleckere, denn ich soll eigentlich mit aufpassen (Linksverkehr, schlafende Hunde am Straßenrand, Wildwechsel, Streckenführung …), nicke aber immer ein. Die Beleuchtung des Toyotas ist von der Art, dass es gefühlt dunkler wird, wenn man das Licht einschaltet. Wir fahren durch die schlafende Pampa, manchmal durch kleine Orte, in denen erstaunlicherweise meist ein 7Eleven geöffnet ist. Besonders die letzten Kilometer sind abenteuerlich. Noch im Dunkeln muss Marko steile Serpentinen hinauffahren. Geht es hier ins Nirgendwo? Ach nein, plötzlich liegt ein großer Parkplatz mit ein paar grell beleuchteten Buden vor uns. Hier hat man offenbar schon genau auf uns gewartet, denn die älteren Verkäuferinnen begrüßen uns freudig kreischend („Sawadi-kaaaah!“) und preisen sogleich mit sirenenhaften Stimmen ihre Waren an, die alles abdecken, was man um diese Uhrzeit hier oben so brauchen könnte, von der Bommelmütze über Taschenlampen bis zum Instantkaffee.  

Hier oben sind wir auf einmal auch nicht mehr allein. Wo kommen plötzlich die ganzen Leute her? Dutzende von Einheimischen, teilweise im Großfamilienverband und mit traditionellen Kleidern, machen sich wie wir gegen sechs Uhr auf den Weg zum Gipfel. Wie Glühwürmchen markieren ihre Stirnlampen den Weg bis zum höchsten Punkt der rund zwanzigminütigen Wanderung. Alle hoffen auf einen spektakulären Sonnenaufgang. 

Gegen halb sieben wird es heller und man sieht, wie die Nebelschwaden im Tal hängen. Der Wind treibt sie manchmal über den Bergkamm, so dass die Leute eine feine Dusche abbekommen. Der Nebel reißt nur manchmal auf und gibt den Blick frei auf die Umgebung. Allmählich kämpft sich die Sonne durch. Wir laufen noch ein paar Meter weiter bis zum offiziellen Grenzstein zwischen Thailand und Laos. Mit ihrem Fuß auf laotischem Staatsgebiet können Adrian und Lien nun von sich sagen, auf ihrer Reise in sechs südostasiatischen Ländern gewesen zu sein. 

Marko, der tapfere Autofahrer, bringt uns dann noch ein paar Kilometer weiter zum Gipfel Doi Phan Tang, der bei Einheimischen ebenfalls sehr beliebt zu sein scheint. Wir wandern den Bergkamm entlang und freuen uns über den schönen Blick, den wir nach Laos hinüber und runter auf den Mekong haben, der ein paar Kilometer weiter nördlich zum Grenzfluss wird. Hier in der Nähe zum Goldenen Dreieck, dem Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar, gibt es anscheinend etliche Probleme mit Drogenschmuggelei, so dass Grenzpatrouillen keine Seltenheit sind. Wir sind nachts auf dem Weg zum Pu Chi Fah an einer Straßenkontrolle vorbeigefahren, die uns schläfrige „falangs“ aber nur durchgewunken hat. 

Die Landschaft hier oben ist atemberaubend. Die Dörfer wirken eher ärmlich, wenn auch in Ordnung gehalten. Von einer Straßenverkäuferin kaufen wir die leckersten Erdbeeren, die man sich vorstellen kann. Sie wurden eben erst vom Feld gepflückt. 

Am nächsten Morgen packen wir unsere Siebensachen zusammen und machen uns auf den Weg zum Flughafen Chiang Rai. Wir fliegen mit Nok Air etwa eine Stunde nach Bangkok. 


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